Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie gehen morgens früh zur Arbeit, betreten den Haupteingang des Unternehmens, bei dem Sie tätig sind. Sie fühlen sich wohl und sind gut gelaunt. Kaum sind Sie im Firmengebäude, treffen Sie auf einen Unbekannten, vermutlich einen Kunden oder Lieferanten. Sie begrüßen die Person freundlich, sie antwortet nicht, sondern starrt Sie missmutig an und läuft in der entgegengesetzten Richtung hinaus. Während Sie auf den Aufzug warten, kommt die Person wieder rein und beschwert sich lauthals, warum Sie sie zugeparkt haben. Bevor Sie antworten können, erscheint der Pförtner und weist die Person darauf hin, dass der Wagen, den sie meint, nicht Ihrer sei. Ohne sich zu entschuldigen, dreht sich die Person um und geht.
Nun eine andere Situation. Sie haben eine wichtige Verhandlung. Es geht um viel. Auf dem Weg zum Verhandlungstermin erhalten Sie einen Anruf. Es ist der Verhandlungspartner. Er schreit Sie am Telefon an und macht Ihnen Vorwürfe. Er merkt an, dass die relevanten Unterlagen, die Sie bereits zwei Wochen zuvor per Einschreiben versandt haben, nicht angekommen seien und dass Sie dies mit Absicht arrangiert hätten. Wutentbrannt macht er Ihnen weitere Vorwürfe und unterstellt Ihnen arglistiges Vorgehen.
Was haben diese beiden Situationen gemeinsam?
Jedes Mal sind Sie in Interaktion mit Menschen, die offenbar wütend sind. Zugleich sind Sie in jedem Fall nicht verantwortlich für die entstandene Wut. Aber wie würden Sie in diesen Fällen reagieren?
Die Kommunikation im Verhandlungskontext kann in zwei Ebenen eingeteilt werden. Die untere Ebene ist die Was-Ebene. Auf dieser Ebene geht es darum, worüber wir sprechen. Die Führung übernimmt man somit auf der unteren Ebene durch das Bestimmen der Themen, über die gesprochen wird, und durch die Bestimmung der Informationsflussrichtung. Denn Informationen sind Diamanten in der Verhandlungswelt.
Eine Ebene drüber haben wir die Wie-Ebene. Wie interagieren wir miteinander, in welcher Art und Weise?
Nehmen wir einmal an, Sie sind mit Ihrem Kind oder einem Kind aus der Familie beim Einkaufen im Supermarkt. Das Kind möchte Schokolade und die Mutter hat Sie eindringlich darauf hingewiesen, dem Kind keine Schokolade zu kaufen. Also verneinen Sie den Wunsch des Kindes. Daraufhin legt sich das Kind auf den Boden und fängt an zu schreien, dann rollt es sich auf dem Boden den Gang entlang, steht wieder auf und tritt gegen die Regale. Wie würden Sie reagieren? Legen Sie sich auch auf den Boden, rollen den Gang entlang und treten gegen die Regale? In der Regel nicht. Warum nicht? Weil Sie dadurch vor allem die Führung auf der Wie-Ebene verlieren würden. Die Führung wäre ab diesem Zeitpunkt beim Kind, da es ja vorgelebt und somit diktiert hat, in welcher Art und Weise Sie miteinander kommunizieren. Folglich bleiben Sie ruhig stehen und versuchen, durch Ihre Haltung die Führung auf der Wie-Ebene beizubehalten.
Die Dynamik ist dieselbe, wenn ein Verhandlungspartner Sie anschreit. Wenn Sie zurückschreien, haben Sie die Führung dem Verhandlungspartner überlassen, da Sie ihm in der Art und Weise des Umganges miteinander folgen würden. Der Verhandlungspartner würde dann seine Art des Interagierens damit etablieren oder, wie bei dem anderen Beispiel, das Kind. Die Dynamik ist wie gesagt dieselbe.
Zu diesen beiden Ebenen kommt eine dritte Dimension. Das ist die Dimension der Gefühle und Emotionen. Damit schließt sich nun der Kreis zu den ersten beiden Beispielen. In beiden Beispielen sind Sie in Interaktion mit Menschen, die offenbar wütend sind. Warum auch immer. Wenn Sie bei der Interaktion mit ihnen auch wütend werden, haben Sie die emotionale Führung diesen Menschen überlassen.
Das heißt natürlich nicht, dass wir die Art, wie andere uns begegnen, hinnehmen müssen. Das heißt, dass wir besser kontern können, wenn wir emotional in unserer Mitte bleiben und deren emotionale Haltung nicht übernehmen.
Die intensivste Form der Führung bei den genannten drei Dimensionen ist die emotionale Führung. Denn die Kontrolle über die eigenen Emotionen, über den eigenen Gefühlsraum ermöglicht das Beherrschen all der anderen Bereiche, nämlich der Art und Weise des Umganges, der Bestimmung der Themen und der Informationsflussrichtung. Sollten Sie emotional aus dem Gleichgewicht geraten und dem Verhandlungspartner folgen, müssen Sie sehr viel Energie darin investieren, den Negativeffekt der eigenen Emotionen zu drosseln. Da bleibt kaum noch Luft, um die zwei weiteren Ebenen zu kontrollieren. Also ist Führung im erwähnten Kontext der drei Felder immer erst eine emotionale, eine gefühlsbasierte Führung. Alles andere folgt dieser Führung.
Sich dieser Dynamik bewusst zu werden ist erfahrungsgemäß bereits die halbe Miete. Denn die eigene innere Haltung und damit auch die Emotionen selbst zu bestimmen ist lediglich eine Entscheidung. Aber eine Entscheidung, die Bewusstheit braucht. In dem Moment, wo Ihnen die Dynamik bewusst ist, haben Sie die nötige innere Transparenz für die anschließende Kontrolle. Wenn Ihnen nun jemand, ein Verhandlungspartner, in der unpassenden Art begegnet und seine negativen Emotionen auf Sie übertragen möchte, so ist es vor allem die Intransparenz der Abläufe, die ihm sein Vorhaben ermöglicht.
Darüber hinaus entsteht in einer solchen Situation eine Diskrepanz zwischen dem, was Sie von der Person erwarten, also einen passenden Umgang, und dem Status quo, also der Art, wie sich die Person tatsächlich verhält. Wegen dieser Diskrepanz werden Sie wütend. Wenn Sie also in dem Moment anerkennen, dass die Person, die vor Ihnen steht, aus persönlichem Unvermögen oder taktischem Kalkül heraus agiert, werden Sie nicht mehr wütend. Im ersten Falle werden Sie die Person im Kontext der Fähigkeiten unterhalb von sich betrachten und im zweiten Falle wird das Durchschauen der Absicht Ihre negativen Gefühle beschwichtigen.
Natürlich ist ein solcher analytischer Prozess im Eifer des Gefechts, also während wir mit der Situation unerwartet konfrontiert werden, nicht leicht zu vollführen. Aber durch das Achten auf diese Aspekte und das Sich-bewusst-Werden über diese Dynamiken werden Sie sich mit der Zeit stetig weiterentwickeln und schrittweise immer besser auf solche Abläufe reagieren können. Allmählich übernimmt Ihr Unterbewusstsein und dann können Sie auch im Eifer des Gefechts auf solche Situationen passend reagieren.
Das Verhandeln ist eine tiefgehend menschliche und damit auch zwischenmenschliche Angelegenheit. Deshalb sind alle Nuancen der Interaktion in diesem Zusammenhang wichtig. Ganz klar verhandeln wir immer über eine Sache, aber die Entscheidungen werden stets von Menschen getroffen und mit den Entscheidungen steht und fällt die Verhandlung. Also geht es immer darum, was die Sache den Entscheidungsträgern bedeutet. Es bleibt tiefgehend menschlich. So ist die Welt der Verhandlungsführung, und je besser wir die Feinheiten des Interagierens von Menschen verstehen, umso besser können wir in diesen Gewässern manövrieren.