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Nie die Tür zumachen

Bei einem Unternehmenskauf in Italien lässt der Leiter der M&A-Abteilung eines Konzerns, der sich in der Schweiz befindet, einen Due Diligence durchführen. Demgemäß ist man bereit maximal 26 Millionen Euro für das anvisierte Unternehmen zu zahlen. Jeder Wert darunter wäre ein Gewinn. Es gab bereits einiges an Korrespondenz und ein Treffen mit dem italienischen Unternehmensinhaber. Dennoch hat bisher keine Seite eine Zahl genannt. Für die kommende Woche steht ein Treffen in Italien an. Der Käufer will bei diesem Treffen den Sack zumachen. Vor dem Abflug versucht der Leiter der M&A-Abteilung, dem Inhaber des Unternehmens bei einem Telefonat eine Hausnummer zu entlocken: Was visiert er denn in etwa als Wert für sein Unternehmen an? Es gelingt ihm nicht. Der italienische Geschäftsmann scheint recht gewieft zu sein.


Das Treffen findet in Venedig statt. Dort sitzt der alte Inhaber mit seinem 32-jährigen Sohn in einem Meetingraum eines vornehmen Hotels. Der Leiter der M&A-Abteilung trifft pünktlich mit seinem Team ein. Nun möchte man endlich wissen, was sich der Inhaber preislich für sein Unternehmen vorstellt. Nach anfänglichem Smalltalk und anschließendem Austausch von einigen Informationen positioniert sich der Inhaber schließlich und startet die Preisverhandlungen mit 33 Millionen Euro. Die Zahl ist aus Sicht des M&A-Teams weit zu hoch. Aus diesem Grund bittet man um eine Pause. Das M&A-Team wollte die Preisverhandlung mit 18 Millionen starten, merkt aber, dass dies eher in eine Sackgasse führen würde, weil man zu weit voneinander entfernt wäre. Zurück aus der kurzen Pause pocht man nun darauf, dass der Inhaber seine Erstpositionierung reduziert. Dieser beharrt aber auf 33 Millionen. Nach einem etwa halbstündigen Tauziehen zieht sich der Käufer wieder mit seinem Team zurück. Die Berater und Mitarbeiter der M&A-Abteilung sind sich einig, dass die Fortführung der Verhandlung keinen Sinn mehr hat. Man sollte besser abbrechen, sagen sie. Der Leiter denkt anders. Er möchte nicht abbrechen, da er der Meinung ist, der Inhaber könne dann nicht mehr ohne Gesichtsverlust erneut Kontakt mit dem Käufer-Team aufnehmen, und er hält es grundsätzlich für denkbar, dass dieser wieder Kontakt aufnimmt. Also entscheidet er sich nach einigen Diskussionen für die folgende Aussage: „Ihr Angebot ist uns zu hoch. Aber wir sind weiterhin an Ihrem Unternehmen interessiert. Ich schlage vor, dass ich mit meinem Team erst einmal wieder zurückfliege. Sofern Sie sich einen Preis, der uns eher entgegenkommt, vorstellen können, würde es mich sehr freuen, wenn Sie uns wieder kontaktieren würden.“ Der Inhaber verneint die indirekte Anfrage des M&A-Abteilungsleiters erst einmal. Dieser bleibt aber bei seinem Angebot, man könne die Verhandlung wiederaufnehmen, sofern der Preis stimmt, und verabschiedet sich mit seinem Team vom Inhaber und dessen Sohn.Faktisch hat der Abteilungsleiter die Fortführung zwar der Verhandlungsgespräche abgebrochen, aber nicht der Verhandlung. Er ließ die Tür für sein Gegenüber offen, auch wenn seine Begleiter davon abgeraten hatten.


Die Vorgehensweise des M&A-Abteilungsleiters war richtig. Als guter Verhandler sollte man in der Regel die Tür für die Fortführung der Verhandlungen offen lassen. Es sei denn, die Machtverhältnisse sprechen derart für uns, dass wir darauf setzen können, dass die Gegenseite auf jeden Fall wieder Kontakt suchen wird, da klare Abhängigkeiten bestehen. Es ist gewiss auch denkbar, den Abbruch einer Verhandlung anzudeuten, obwohl man nicht abbrechen möchte, um durch den Bluff mehr Druck in die Verhandlung hineinzubringen. Ansonsten ist es ratsam, stets Offenheit für die Fortführung einer Verhandlung zu signalisieren, und zwar so, dass eine Brücke zur Gegenseite gebaut wird und somit vermieden wird, dass der Verhandlungspartner das Gesicht verliert. Jeder Abbruch ohne Grund, aus Trotz, Wut oder Resignation, ist in der Verhandlungswelt als innere Kapitulation zu verstehen.


In dem erläuterten M&A-Fall suchte der Verkäufer nach 2,5 Monaten den Käufer auf. Man einigte sich am Ende auf 25 Millionen. Beide Seiten waren zufrieden, dank des bedächtigen Vorgehens des M&A-Leiters.

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