Eine Verhandlung ist unter anderem ein Tanz um die Macht, ein Kampf um die Macht. Wenn eine Machtkampfkonstellation vorliegt, dann findet der Kampf auf zwei Ebenen statt, auf einer sachlichen und einer zwischenmenschlichen Ebene. Die zwischenmenschliche Ebene eines Machtkampfes basiert im Kern auf der Fähigkeit, die andere Person zu verletzen. Das Mittel, welches hierbei eingesetzt werden soll, ist der Schmerz. Das Ziel ist, dass die verletzte Person motiviert wird bzw. bestrebt ist, fortan Schmerzen zu vermeiden, und deshalb das tut, was die verletzende Person will. Denn wir Menschen sind schmerzvermeidende Wesen und deshalb bestrebt, schmerzhafte Situationen zu umgehen.
„Du tust, was ich will, sonst erwarten dich Schmerzen“, ist somit die unausgesprochene Botschaft eines solchen Verhandlungspartners. Dominanz ist das Resultat der Handlungen, wenn sie aufgehen und ihr Ziel erreichen. Das Hinzufügen von Schmerzen und Erreichen von Dominanz ermöglichen die Kontrolle der Entscheidungen des anderen, denn um die angedrohten Schmerzen zu vermeiden, bewegt sich die unterlegene Person ausschließlich im Korridor der erlaubten, schmerzfreien Entscheidungen und der daraus resultierenden Handlungen. In dem Moment, in dem die Entscheidungen und damit auch Handlungen eines Verhandlungspartners kontrollierbar werden, führt man die Verhandlung. Der Verhandlungsausgang wird somit determinierbar und folglich antizipierbar.
Somit findet oft zwischen verhandelnden Personen ein Kampf um Dominanz und Unterwerfung statt, bei dem angegriffen, verletzt und gekränkt wird. All das, um bei der beschriebenen Dynamik die Oberhand zu gewinnen. Dieser Aspekt des zwischenmenschlichen Umgangs spielt nicht nur bei Verhandlungen eine Rolle, sondern sehr wohl auch in Beziehungen und gar in der Sexualität. Wenn man bedenkt, dass die dominierende Person mit ihren schmerzversprechenden und schmerzhaften Handlungen einen Rahmen für die andere Person definiert, so stellt sich an dieser Stelle die Frage, warum sich die andere Person dem fügen sollte? Was haben Menschen davon, sich in vorgegebenen Grenzen und in klar gestellten Linien zu bewegen? Sicherheit.
Um genauer zu sein: das Gefühl der Sicherheit.
Natürlich ist die empfundene Sicherheit trügerisch. Sie ist lediglich eine Kompensation der eigenen Angst, der Angst vor der Ungewissheit. Je geringer die Angstkomponente in einer Person, umso weniger ist sie somit bestrebt, sich zu unterwerfen. Allen anderen verspricht die Unterwerfung Sicherheit. Damit sind sie allerdings der absoluten Unsicherheit ausgesetzt, ohne dies wahrnehmen zu wollen oder zu können, denn ab diesem Zeitpunkt entscheidet die dominierende Instanz im Deckmantel der Sicherheit darüber, was im Kern mit ihnen geschieht. Ein sehr hoher Preis dafür, mit der Ungewissheit nicht umgehen zu wollen.
Somit sind das Pendeln zwischen Sicherheit und Unsicherheit einerseits und die Fähigkeit, Schmerzen unterschiedlicher Intensität zuzufügen und diese, sofern man ihnen ausgesetzt ist, zu verdauen, andererseits die Elemente, welche die Machtgestaltung im zwischenmenschlichen Sinne prägen.
Diese tendenziell bestrafenden Handlungen, die darauf zielen, Respekt zu erzeugen, brauchen einen Gegenpol, da wir Menschen nach Möglichkeit die Verantwortung bzw. die Schuld einer Beziehungsbelastung durch bestrafende Handlungen nicht auf uns nehmen wollen. Zugleich akzeptiert eine dominierte Person ihre Unterwerfung umso mehr, wenn sie parallel zu den dominanten Handlungen, die sie oft übersehen möchte, auch empathische Züge wahrnehmen kann. Damit haben wir an dieser Stelle Empathie und Respekt als zwei Seiten des Spektrums, als zwei Gegenpole. Die Mischung zwischen Respekt erzeugenden und Empathie aufbauenden Handlungen ist es, die die Unterwerfung vollendet. Vollständigkeitshalber sollte erwähnt werden, dass es sich bei vielen Handlungen, die dazu dienen, Empathie zu erzeugen, um Scheinhandlungen handelt. Sie kommen nicht aus dem Herzen, sondern aus der taktischen Abwägung und Notwendigkeit heraus.
Zwei sehr effiziente und scharfe Waffen des Dominierens, die interessanterweise, nuanciert eingesetzt, den Empathie-Pol wenig tangieren bzw. die Empathie kaum schwächen, sind Warten und Schweigen. Aber auch diese besondere Munition muss portioniert eingesetzt werden. Um erstens nicht durchschaut zu werden und zweitens den Empathie-Pol nicht doch noch zu unterminieren.
In einem besonderen Verhandlungsfall im geschäftlichen Kontext wunderte sich mein Mandant über frequentiert unlogische Nachrichten der Gegenseite, die nicht nur eine Einigung um den Sachverhalt erschwerten, sondern ihn auch jedes Mal in Rage versetzten. Als dilettantisch bezeichnete er die Rückmeldungen seines Verhandlungspartners, was ja auch im Kern stimmte, einerseits, andererseits war dessen Vorgehensweise das Resultat seines Unvermögens, sachlich vorzugehen. Also kanalisierte er die Energie auf der persönlichen Ebene. Da mein Mandant die Absicht der Gegenseite nicht durchschaute, hatte die Vorgehensweise, so ungut sie auch war, eine Wirkung auf ihn und beeinflusste auf der emotionalen Ebene seinen Entscheidungsfindungsprozess. Erst das Durchschauen der Absicht der Gegenseite führte dazu, dass er die für ihn schmerzhaft empfundene Wut in diesem Zusammenhang verdauen und sich somit dem Wirkungsfeld seines Verhandlungspartners entziehen konnte.
Als Leit- bzw. Merksatz kann man in diesem Zusammenhang sagen, wenn jemand in Ihnen Emotionen initiieren kann, dann kann diese Person etwas in Ihnen kontrollieren. Eben die Emotionen. Damit beginnt dann auch das Tauziehen um Dominanz und Unterwerfung.