„Lesen macht vielseitig, Verhandeln geistesgegenwärtig, Schreiben genau“. Dies ist ein Zitat des englischen Philosophen, Juristen und Staatsmannes Francis Bacon. Das Zitat ist vielsagend. Es sagt u. a. auch etwas über Verhandlungsdimensionen aus, die im Zeitalter der neuen Medien zu berücksichtigen sind. Denn heutzutage wird oft am Telefon, mit Videochat-Programmen oder gar per E-Mail verhandelt. Wir haben immer weniger Direkttermine, bei denen wir uns von Angesicht zu Angesicht austauschen können. Die Frage stellt sich, worauf beim Einsatz von Kommunikationsmedien im Verhandlungskontext zu achten ist.
Beginnen wir mit Verhandlungen am Telefon.
Während wir bei einem Vis-à-vis-Termin einen Vorabprozess im Rahmen des Termin-Arrangements durchlaufen, fällt dieser Prozess bei einem Telefonat zu einem Großteil weg. Denn bei einem Vis-à-vis-Termin müssen wir zum Beispiel zu unserem Verhandlungspartner hinfahren. Der Prozess des Fahrens wird ausschließlich im Kontext des Termins durchgeführt. Wenn wir einen Verhandlungspartner einladen und ihn erwarten, dann bereiten wir in der Regel den Termin vor, indem wir einen Raum reservieren, Getränke bestellen und andere organisatorische Aspekte, wie das Vorbereiten von Schreibutensilien, interne Abstimmung mit anderen Teilnehmern usw., arrangieren. Das heißt, wir absolvieren jedes Mal einen Vorabprozess, welcher eine Awareness, also eine Bewusstheit, auf den Termin hin erzeugt. Bei einem Telefonat ist das nicht so, denn hier herrscht nicht das gleiche Level an Bewusstheit und somit Geistesgegenwart. Es sei denn, der Sachverhalt ist derart wichtig, dass er uns in einen Alarmzustand versetzt.
Bei einem Telefonat müssen wir somit selbst eine Bewusstheit in uns erzeugen. Wir müssen uns sachlich und emotional in den richtigen Zustand hineinversetzen. Das bedeutet, wir müssen einerseits die anstehende Verhandlung genau wie bei einem Vis-à-vis-Gespräch vorbereiten, andererseits sollten wir kurz vor dem Telefonat unsere innere Haltung abhorchen, eine Bewusstheit erzeugen, bei Bedarf die innere emotionale Haltung ändern und anschließend geistesgegenwärtig in die Verhandlung hineingehen. Diesen Prozess gilt es zu berücksichtigen, auch wenn man mehrere Telefonate mit unterschiedlichen Verhandlungspartnern am Tag führen muss.
Ich kann mich in diesem Zusammenhang an eine Mandantschaft erinnern, ein Großunternehmen, dessen Mitarbeiter in einer gewissen Abteilung bis zu 20 Verhandlungstelefonate zu führen hatten. Damit jede Mitarbeiterin bzw. jeder Mitarbeiter sich auf das anstehende Telefonat vorbereiten konnte, haben wir für sie Templates entwickelt. Das Template bestand aus einer einzigen Seite. Diese Seite beinhaltete alle relevanten Daten in Bezug auf den Verhandlungspartner. Somit hatte man nach kurzem Überschauen der Seite die wichtigsten Daten, die für die Verhandlung von Relevanz waren. Diese Daten mussten vor dem Telefonat zur Aufstellung des jeweiligen Verhandlungsziels verwendet und angepasst werden. Vor jedem Telefonat musste man die eigene innere Haltung abhorchen und niederschreiben, bei Bedarf sich in die passende innere Haltung hineinversetzen.
Darüber hinaus gehen bei einem Telefonat Gestik und Mimik verloren bzw. sie sind nicht feststellbar. Umso wichtiger sind alle „non-verbalen“ Aspekte der Kommunikation am Telefon, wie Sprechgeschwindigkeit, Tonlage, Dauer und Häufigkeit von Pausen, Füllwörter und -töne, Genauigkeit der Aussprache und Sprechmelodie. Alle diese Faktoren sagen etwas über die innere Gefühlslage des Verhandlungspartners aus und müssen deshalb berücksichtigt werden, und zwar nicht nur beim Gegenüber, sondern auch bei einem selbst. Denn solche Faktoren sind es auch, welche die Beziehungsbildung mit dem Gegenüber prägen.
Eine schnelle Sprechgeschwindigkeit kann zum Beispiel vorkommen, wenn der Verhandlungspartner nervös wird oder sich unter Druck fühlt. Schnelligkeit ist in diesem Zusammenhang allerdings im Vergleich zum Normalverhalten des Gesprächspartners zu sehen. Sollte der Gesprächspartner schneller als sonst reden, kombiniert mit einer hohen Tonlage, dann wird der Nervositätscharakter für uns spürbar und somit sichtbar, aber solange die genannten Faktoren einzeln auftreten, da der Gesprächspartner sich zu kontrollieren versucht, können diese übersehen werden.
Hierbei muss erwähnt werden, dass eine Deutung des non-verbalen Verhaltens, ob nun bezogen auf Gestik und Mimik, Tonlage, Sprechmelodie und -geschwindigkeit oder auf weitere Faktoren, die genannt wurden, immer eine Annäherung an die Wahrheit darstellt. Denn wir können es einerseits fehldeuten und andererseits können solche Faktoren auch einmal aus anderen Gründen, die mit dem vorliegenden Gespräch nicht direkt etwas zu tun haben, initiiert werden, wie zum Beispiel durch gesprächsunabhängige Gedankenabläufe, emotionale Fehlassoziationen oder Ablenkung durch andere Personen oder Prozesse. Dennoch müssen wir uns mit den genannten Faktoren auseinandersetzen, da wir sie aufnehmen und deuten, ob wir dies wollen oder nicht, das heißt, auch unbewusst. Indem wir uns mit den genannten Komponenten beschäftigen, versuchen wir, das Risiko einer Fehldeutung zu minimieren.
Videochat-Programme erlauben es einem, die Gestik und Mimik des anderen wahrzunehmen, aber es kann durchaus vorkommen, dass diese um Millisekunden verzögert transferiert werden. Ebenso kann es vorkommen, dass Bild und Sprache nicht im Einklang miteinander stehen, was deren Positionierung und Interpretation schwieriger macht. Zudem fehlt bei einem Videocall in der Regel ein Teil der Gestik, da wir meist nur den oberen Körperteil zu sehen bekommen und uns die Informationen ab der Taille abwärts vorenthalten bleiben. Dabei ist der Körper umso ehrlicher, je weiter man vom Gesicht weggeht. Wir lernen bereits als Kind, unsere Mimik und die obere Gestik zu kontrollieren, wenn wir einmal die Bezugspersonen belügen. Aber auf die Stellung der Füße und Beine achten wir nicht. Diese Dynamik gilt auch für erwachsene Personen.
Ein Mandant erzählte mir, dass er einmal bei einer Videochat-Konferenz eine Geschäftsperson kennengelernt habe. Nach dem Videocall kam es zu einem Treffen der beiden. Während sich die zwei Geschäftspersonen per Videocall recht gut verstanden haben, entstand bei dem persönlichen Treffen keine Chemie zwischen ihnen beiden, erzählte er mir. Offenbar sind die Präsenz und der Einklang der Gesamtinformation des Verhaltens einer Person derart wichtig, dass man eine Fehleinschätzung vornehmen kann, wenn nur ein Teil der Informationen vorhanden ist oder diese nicht zeitgleich vermittelt werden.
Kommen wir zu einem weiteren Mittel der Kommunikation, der E-Mail.
Eines der sensibelsten Mittel der Kommunikation ist die E-Mail. Die Kommunikation per E-Mail ist aus mehreren Gründen mit Vorsicht zu genießen.
Zuerst einmal kann eine Vereinbarung, eine Zustimmung per E-Mail einen rechtlichen Charakter haben. Konsultieren Sie hierzu einen Rechtsexperten. Da bei einer E-Mail die Zustimmung auch noch schwarz-weiß vorliegt und somit direkt nachweisbar ist, ist auf Zusagen und sonstige Erklärungen per E-Mail genauestens zu achten. Das kann bedeuten, dass man Rechtsexperten und/oder betroffene Fachabteilungen kontaktieren und den Sachverhalt mit ihnen eingehend abstimmen muss, bevor man einige wenige Zeilen hierzu dem Verhandlungspartner zukommen lässt. Aufgrund der Beweisbarkeit muss man somit auf jedes Wort achten, das man per E-Mail schreibt. Weniger ist mehr, lautet die Devise. Denn je mehr man in einem so sensiblen Medium schreibt, umso mehr kann man sich rhetorisch verrennen oder wichtige Informationen preisgeben. Es muss hierbei nochmals betont werden, dass im Gegensatz zum gesprochenen Wort jede Aussage per E-Mail stets nachweisbar ist.
Während man sich mit Zeilen und Paragraphen eines Vertrages stunden- oder tagelang beschäftigt, nimmt man sich für den E-Mail-Text nicht annähernd so viel Zeit, obwohl die E-Mail je nach Sachlage und Rahmenbedingungen dieselbe Bedeutung und Wirkung haben könnte wie eine schriftliche Vereinbarung. Also ist hier Vorsicht geboten.
Ebenso wichtig im Kontext der E-Mail ist die Tatsache, dass Gestik, Mimik, Ton und all die Subkomponenten der Tonlage gänzlich fehlen. Die Wirkung kann verheerend sein. Beispielsweise schreibt ein Verhandlungspartner seinem Gegenüber den folgenden Text: „Nein, das ist in der Form falsch.“ Als die Person den Satz schrieb, war ihre Tonlage (in ihren Gedanken) sehr sanft, die Intonation derart, dass die Aussage fast wie eine Frage klang (vor ihrem geistigen Auge). Dem Lesenden fehlen all diese Subinformationen. Er liest den Text mit einem bestimmenden Klang und frei von der besänftigenden Tonlage. Welche Wirkung dies haben kann, ist klar.
Es gibt also recht viele Gründe, warum man E-Mails mit sehr viel Obacht schreiben sollte.
Abseits all der erwähnten Punkte bezüglich der Sensibilität einer E-Mail könnte man resümierend festhalten, dass es zweckmäßig wäre, vor der Kommunikation mit einem Gegenüber über die neuen Medien den Verhandlungspartner einmal persönlich zu treffen. Das einmalige Treffen bildet eine in der Regel ausreichende Basis, um die Kommunikation fortan per Telefon, E-Mail oder Videochat zu führen. Umgeht man den einen ersten Schritt, können eine Reihe von Problemen entstehen.
Ist der Sachverhalt wichtig oder komplex, dann empfehle ich meinen Mandanten ein Treffen, auch dann, wenn sie ihr Gegenüber gut kennen sollten. Denn nichts ersetzt den persönlichen Austausch zweier Personen von Angesicht zu Angesicht.