Die Verhandlung braucht den Konflikt. Ohne Konflikt keine Verhandlung, denn dann läge sofort eine Einigung vor. Aus dem Konflikt heraus entsteht ein Bestreben, zum Teil ein Kampf, den man diszipliniert führen muss: die Verhandlung. Somit ist konfliktvermeidendes Verhalten der Verhandlung nicht zuträglich. Der gute Verhandler sollte konfliktfreudig sein. Das bedeutet nicht, dass er konfrontativ agieren muss. Wie er den Konflikt austrägt, ist ein anderes Thema. Dass er konfliktfreudig eingestellt sein muss, ist ein Dogma.
Folgende Situation: Der Geschäftsführer eines mittelständigen Unternehmens hat einige Besprechungen mit seinen Bereichsleitern. Es müssen Prozesse im Haus gänzlich geändert werden. Alle Mitarbeiter sträuben sich dagegen, inklusive der Bereichsleiter. Der Geschäftsführer hat geplante Einzelgespräche mit den Bereichsleitern, und da sich die Gesamtbelegschaft gegen die Änderungen wehrt, sind auch diese Gespräche sehr konfliktgeladen und zum Teil emotional. Der Geschäftsführer will einerseits die Änderungen durchsetzen, andererseits möchte er nicht das Betriebsklima hierdurch belasten. Kurz vor dem letzten Gespräch ruft der Bereichsleiter, mit dem das Gespräch stattfinden soll, an. Er teilt mit, dass er nicht kommen kann, da ihm der Termin nicht rechtzeitig kommuniziert wurde, was er indirekt dem Geschäftsführer vorwirft. Bei dem Dialog am Telefon stellt es sich heraus, dass die Sekretärin des Bereichsleiters den Fehler begangen hat. Zähneknirschend macht dieser sich auf den Weg ins Büro des Geschäftsführers.
Dem Geschäftsführer gehen Szenarien durch den Kopf, wie das anstehende Gespräch in einen lauten Streit ausartet, da der Bereichsleiter wegen des unfreiwilligen Fehlereingeständnisses bereits emotionalisiert ist. Er versucht die negativen Gedanken zu stoppen. Es gelingt ihm nicht. Mehrfach stellt er sich vor, wie der Bereichsleiter wutentbrannt sein Büro verlässt, laut sprechend und gestikulierend den Gang hinunterläuft und andere somit von der Eskalation in Kenntnis setzt. Um die ausgemalten negativen Konsequenzen zu vermeiden, ändert der Geschäftsführer unbewusst seine innere Haltung. Er will die negativen Konsequenzen umgehen, die er direkt mit dem vorliegenden Konflikt assoziiert. Also empfindet er unbewusst den Konflikt als Hauptverursacher des Problems und nicht die negative Assoziationskette, die erst einmal rein gedanklich ist und keinen direkten Realitätsbezug haben muss. Folglich geht die innere Haltung des Geschäftsführers in einen konfliktvermeidenden Modus über. Er meidet den Konflikt, um sich die vermeintlich negativen Konsequenzen zu ersparen. Als der Bereichsleiter ankommt, ist der Geschäftsführer in einer unterwürfigen Haltung. Er fühlt sich nicht wohl, glaubt aber, dass seine Abwägungen richtig seien und er eine harmonische Gesprächsatmosphäre erzeugen müsse, was für das Gesamtvorhaben besser sei. Beim Tauziehen mit dem Bereichsleiter macht er diesmal Zugeständnisse, die er bei den vorherigen Gesprächen nicht gemacht hat. Er hält diese erst einmal für richtig und passend. Selbst nach dem Gespräch glaubt er, richtig agiert zu haben, und malt sich gedanklich aus, wie seine Zugeständnisse zu einer besseren Umsetzung des Gesamtprojektes führen und zugleich das Betriebsklima unbelastet lassen. Ebenso stellt er sich vor, wie der Bereichsleiter mit anderen positiv über ihn spricht. Er rationalisiert seine Submission.Erst einen Tag später kommt bei ihm ein ungutes Gefühl auf, welches in Gedanken und Grübeleien mündet. Erst jetzt merkt er, dass er dem Bereichsleiter zu weit entgegengekommen ist. Nun malt er sich gedanklich aus, wie er eigentlich hätte das Gespräch führen müssen, um die nun herauskristallisierten Fehler zu vermeiden.
Der Hauptfehler des Geschäftsführers begann, als er den vorliegenden Konflikt als Belastung empfand und um der Harmonie willen den Konflikt verdrängte, da er diesen mit negativen Konsequenzen assoziierte. Das heißt, der Geschäftsführer hätte die negativen Assoziationen nicht als Kriterium für seine Grundhaltung gelten lassen dürfen. Dann hätte er seine Konfliktbereitschaft beibehalten und das Gespräch mit dem notwendigen Konfliktlösungsfundament führen können. Das Gespräch selbst muss dann nicht konfrontativ, sondern kann durchaus kooperativ geführt werden, um das Potential der Eskalation zu verringern. Aber die innere Bereitschaft für eine mögliche Eskalation muss stets aufrechterhalten bleiben. Dies scheint paradox zu sein, ist es aber nicht. Die Person ist innerlich bereit für eine Eskalation, versucht diese allerdings äußerlich, auf der Verhaltensebene, zu verhindern. In dem Moment, wo das Meiden und Vermeiden die innere Haltung berühren, sinkt die Konflikt- und damit auch Verhandlungsbereitschaft.
Verhandeln heißt den Konflikt wollen. Die einzige Frage, die sich stellt, ist, wie der Konflikt angegangen wird. Die Entstehung und die Existenz des Konfliktes als Kernentstehungsmoment des Verhandlungsbedarfes und damit der Verhandlung an sich muss der Verhandler stets als ein positives Ereignis betrachten und bejahend annehmen.